Donnerstag, 11. September 2014

Vorsorge und Selbsthilfe sind bei Migranten jetzt ein Thema

Die Deutsch-Türkin Umut Ezel ist Projektleiterin beim Paritätischen Wohlfahrtsverband und schärft bei Migranten das Bewusstsein für Selbsthilfe und Vorsorge in der Gesundheit. Nach Anlaufproblemen hat sich das Projekt gut entwickelt.

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Das Wort „Problem“ besitzt in der deutschen und in der türkischen Sprache dieselbe Bedeutung. Beim „Begriff“ Selbsthilfe ist das nicht so einfach. Für das deutsche Wort und dessen Bedeutung gibt es keinen vergleichbaren Begriff im Türkischen. Hier fängt das Problem an, mit dem sich Umut Ezel beschäftigt.


Die Sozialwissenschaftlerin ar-beitet seit fünf Jahren für den Paritätischen Wohlfahrtsverband in einem Projekt der Gesundheits-Selbsthilfe für Migranten, das von der AOK unterstützt wird. Ihr Büro ist nahe der Ruhrallee. Der erste Eindruck: Viel Papier, viele Ordner, viel Arbeit. Umut Ezel ist in ganz NRW unterwegs und in Essen vor allem im Norden. Hier – in Katernberg, in Altenessen, in Bergeborbeck – „sind die Menschen, die ich erreichen will, die aber schwer erreichbar sind“, sagt die bilinguale Fachkraft.

Der Projektstart 2008 war mühsam. Damals hatte eine Studie der „Gesundheitsselbsthilfe-NRW/Wittener Kreis“ Beunruhigendes zu Tage gefördert: Migranten nutzen die Gesundheits-Selbsthilfe kaum bis gar nicht. Zugespitzt: Der türkische Rentner, der im Stahlwerk gearbeitet hat und an Lungenkrebs erkrankt ist, war nicht bei Vorsorgeuntersuchungen und lässt sich zu spät behandeln. Der Grund liegt in der Mentalität und den Berührungsängsten zum deutschen Gesundheitssystem. „Der Türke baut auf sein Familien-Netzwerk. Er geht erst zum Arzt, wenn es fünf vor Zwölf ist. Der Selbsthilfegedanke existiert – wie der Begriff Selbsthilfe – nicht.“, sagt Umut Ezel und erinnert sich an die Anfänge ihrer Arbeit: „Ich habe Angebote bereitgestellt, Türen geöffnet. Aber niemand kam.“

Also zog sie los, besuchte Vereine und Moscheen, holte sich Unterstützung bei Imamen. Sie leistete erst Überzeugungsarbeit und dann Aufklärungsarbeit. Mit Vorträgen und, als Deutsch-Türkin, interkultureller Kompetenz. Mit türkischsprachigen Broschüren und eigens produzierten Videos mit türkischen Darstellern. Und mit Erfolg.

„Die Berührungsängste sind verschwunden. Es gibt mehr und mehr türkische Selbsthilfegruppen, die sich mit Krankheiten wie Krebs, Depression, Schlaganfällen sowie und Therapien und Vorsorge beschäftigen.“ Die 32-Jährige hat ein belastbares Netzwerk. Inzwischen melden sich Migrantenorganisationen, Vereine und Moschee-Gemeinden bei ihr und laden sie zu Vorträgen ein. Im April gab es in der Fatih-Moschee in Katernberg den ersten deutsch-türkischen Gesundheitstag. Für das nächste Jahr ist die Fortsetzung als internationaler Gesundheitstag geplant.

„Krankheiten machen keinen Halt vor Nationalitäten“, sagt Umut Ezel, die eine für ihre Arbeit hilfreiche Entwicklung beobachtet hat. „Bei den jüngeren Migranten-Generationen hat es einen Bewusstseinswandel gegeben. Das Thema Vorsorge und Selbsthilfe steht stärker im Fokus als früher.“

Von Umut Ezels Projektarbeit profitieren auch die deutschen Selbsthilfegruppen. Viele von ihnen klagen als Folge der demografischen Entwicklung über schwindende Teilnehmerzahlen. Mit den sensibilisierten Migranten haben sie eine neue Zielgruppe gewonnen.

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